Über Seitenwechsler*innen der Politik und wie sie unsere Demokratie gefährden
von Thomas Vollmuth
Max Mustermann stößt die Tür zum Paul-Löbe-Haus auf. Hier trifft er sich heute mit den Abgeordneten der Rot-Grünen Minderheitsregierung. Bundeskanzler Scholz plant die Einführung einer Finanztransaktionssteuer. “Schwachsinn”, denkt sich Max. Dieses Vorhaben wird immer mal wieder von Gutmenschen auf die Agenda gesetzt. Dabei weiß doch jeder, wie mächtig unsere Lobby ist und dass wir keinen Bock auf Regulierung haben. Zugegeben, nach der Finanzkrise wurde das Eis ganz schön dünn und die Schwachen wollten das sinkende Schiff verlassen. Aber die Union lässt ihre Lobbyfreunde nicht untergehen. Flankiert von zahlreichen Erleichterungen und einer Finanzspritze von über 70 Milliarden Euro, sind wir stärker denn je an den Verhandlungstisch zurückgekehrt. Damals saß ich noch als Abgeordneter der Regierungsfraktion im Bundestag. Eigentlich wollte ich nie für die Finanzbranche arbeiten, aber die Bezahlung war einfach zu verlockend. Und das sage ich als ehemaliger Bundesminister! Naja, jetzt erstmal diese Moralaposteln abspeisen…
So zeichnet sich Interessensvertretung in seiner schlimmsten Form ab. Es wäre aber falsch, diese komplett zu verhindern. Lobbyismus ist in erster Linie die Interessensäußerung verschiedenster Stellen, etwa Vereine, Unternehmen oder Verbände. Ein wesentlicher Bestandteil einer Demokratie ist es, dass Parlamentarier*innen diese Wünsche oder Meinungen berücksichtigen. Lobbytätigkeit wird dann nachteilig, wenn wirtschaftliche Interessen einiger Weniger vor die Bedürfnisse der Allgemeinheit gestellt werden. Deshalb benutze ich hier das Wort “Profitlobbyismus”.
Profilobbyismus und der Einfluss der Seitenwechsler*innen
Besonders problematisch sind hochrangige Politiker*innen, die bereits während ihrer Amtszeit ersten lobbyistischen Tätigkeiten nachgehen. Dabei verletzen sie indirekt das Grundgesetz, da gewählte Parlamentarier*innen das Volk in seiner Allgemeinheit zu vertreten haben, und nicht nur die Interessen einzelner Weniger [1]. Zudem reicht bereits der Anschein von Vetternwirtschaft und persönlicher Bereicherung aus, um einen anhaltenden Vertrauensverlust in demokratische Institutionen herbeizuführen. Auch ein “offizieller” Wechsel nach der Amtszeit ist höchst problematisch. Häufig laufen die Gespräche bereits vor dem eigentlichen Wechsel und ab dem Zeitpunkt der Kommunikation kann man davon ausgehen, dass angehende Lobbyist*innen zugunsten des zukünftigen Arbeitgebers wirken.
Beweis: Eckart von Klaeden [2]
Von Klaeden (CDU) war bis September 2013 Staatsminister im Bundeskanzleramt. Im Mai desselben Jahres wurde bekannt, dass er nach seinem Amt nahtlos als Cheflobbyist bei Daimler arbeiten wird. Neben einem breiten zivilgesellschaftlichen Aufschrei, ermittelte die Berliner Staatsanwaltschaft wegen Verdacht auf Vorteilsnahme gegen den Staatsminister. Während die Bundesregierung anfänglich etwaige Interessenskonflikte verneinte, ergab eine Anfrage der Linken, dass sich von Klaeden mehrmals mit Daimler-Vertretern getroffen hatte. Auf Geheiß der Autolobby wirkte dieser maßgeblich auf Merkel ein, um den Vorschlag der auf EU-Ebene geltenden, strengeren CO2-Grenzwerte für PKW, zu verhindern. Resultat: Die Vorschläge von Daimler & Co. wurden ohne Veränderung übernommen.
Anzeigepflicht und Karenzregeln
Wegen diesem und weiteren publikumswirksamen Skandalen einigte sich die große Koalition auf neue Regeln für Mitglieder der Bundesregierung. Das Gesetz von 2015 schreibt eine Anzeigepflicht für amtierende und ehemalige Minister*innen sowie Staatssekretär*innen vor, wenn diese für ein privatwirtschaftliches Unternehmen tätig werden möchten. Die größte Durchschlagskraft dieses Gesetzes besteht aber in der Karenzregelung. Ein unabhängiges Gremium prüft etwaige Interessenskonflikte und empfiehlt der Bundesregierung eine bis zu 12-monatige, in besonders schwerwiegenden Fällen eine um 6-Monate verlängerte, Aussetzfrist nach Amtsausscheiden. So verlieren potenzielle neue Lobbyist*innen an Marktwert, da veraltete Informationen und Kontakte weniger gewinnbringend sind.
Das neue Gesetz im Praxistest: Sigmar Gabriel [3]
2014 setzte sich Gabriel als Wirtschaftsminister für die gescheiterte Fusion der Energiesparten von Siemens und Alstom ein. Nach dem Ausscheiden aus der Regierungsverantwortung, zeigte er eine Tätigkeit im Verwaltungsrat, einer geplanten Kooperation vorherig genannter Unternehmen, an. Die Bundesregierung untersagte diese Beschäftigung für ein Jahr, da offensichtliche Interessenskonflikte vorlagen.
Im Juli 2019 war der ehemalige SPD-Politiker schon mehr als zwei Jahre nicht mehr Chef des Wirtschaftsministeriums, und auch seine Zeit als Außenminister lag 15 Monate zurück. Er wurde also ohne Problem Beiratsmitglied der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte.
Gabriel verschwieg zudem die Berufung zum Vorsitzenden der Atlantik-Brücke [4], obwohl er als ehemaliger Minister noch der Anzeigepflicht unterlag. Diese Position stellt einen unverkennbaren Interessenskonflikt mit seinem vergangenen Amt als Außenminister dar.
Kritik an aktuellen Regularien
Das vorliegende Beispiel zeigt, dass das aktuelle Gesetz zwar funktioniert und angewandt wird, aber auch, dass es gravierende Schwachstellen aufweist. So bezweifeln Kritiker*innen, dass die maximale Karenzfrist ausreichend ist, um bestehende Kontakte nachhaltig zu beenden. Abgeordnetenwatch plädiert beispielsweise für eine Frist von drei Jahren [5]. Der Verstoß Gabriels rund um die Atlantik-Brücke offenbart zudem, dass die Regularien von den betroffenen Personen nicht besonders ernst genommen werden. Daher fordert LobbyControl Sanktionen für die Nichteinhaltung der aus dem Gesetz resultierenden Pflichten [6].
Die einflussreichsten Seitenwechsler*innen stammen meist aus der Bundesregierung. Es wäre aber sehr viel wichtiger, das Parlament in seiner Funktion als Volksgremium maximal transparent auszugestalten. Nur so kann jeder und jede nachvollziehen, welche*r externe Akteur*in in welchem Umfang, mit welchen Mitteln und zugrundeliegendem Interesse, Einfluss auf Abgeordnete, Gesetze und Entscheidungen ausübt. Durch diese soziale Kontrolle könnte der Bundestag wieder eine wirkliche Volksvertretung darstellen.
Die große Koalition ging dahingehend einen ersten Schritt und beschloss 2021 ein Lobbyregister einzuführen. Die Aufgabe der langjährigen Blockade von CDU/CSU in dieser Sache lässt sich, im Hintergrund der Maskendeals, eher als Wahlkampfmanöver einordnen. Der aufrichtige Wille, politisches Entscheiden transparenter zu gestalten und damit das Vertrauen der Bevölkerung zu stärken, bleibt aus.
Wer noch nicht genug bekommen hat: drei weitere populäre Seitenwechsler
Stanislaw Tillich – Wann kommt endlich die Kohle
Der ehemalige sächsische Ministerpräsident, Stanislaw Tillich (CDU), war als einer der vier Vorsitzenden der Kohlekommission dafür verantwortlich, 4.350.000.000 € [7] für die Kohleunternehmen herauszuschlagen. Nicht nur zahlreiche Kritiker*innen, sondern auch die EU-Wettbewerbskommissarin Vestager hegen Zweifel an der Angemessenheit der Summe [8]. Zahlreiche weitere juristische Fragen bleiben ungeklärt [9]. Tillich wurde ein Jahr später zum Aufsichtsratsvorsitzenden des Braunkohleunternehmens MIBRAG bestellt.
Matthias Berninger – weltweiter Kampf gegen Übergewicht und Unkraut [10]
Berninger war bis Oktober 2005 Parlamentarischer Staatssekretär des Ministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft und unter anderem mit der globalen Übergewichtspandemie beschäftigt. Zwei Jahre später wechselte er zum Food-Konzern Mars Inc., der unter anderem die gleichnamigen Schokoriegel verkauft. Anfang 2019 wurde er zum Cheflobbyist der Bayer AG erklärt, die weltweit über ihre Tochterfirma Monsanto, das in Kritik geratene Unkrautmittel Glyphosat [11], verkauft.
Dirk Niebel – Erst aufbauen, dann zerstören [12]
Dirk Niebel, ehemaliger Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung im Kabinett Merkel II, wechselte Anfang 2015 zum Rüstungskonzern Rheinmetall. Umstritten ist, ob das ehemalige Mitglied des Bundessicherheitsrates, beeinflusst von seinem zukünftigen Arbeitgeber, vermehrt für Waffenexporte gestimmt hat [13]. Der Wechsel ist dahingehend unaufrichtig, als dass die Entwicklungshilfe auf Aufbau und Unterstützung setzt, während die von Rheinmetall gefertigten Kriegswerkzeuge diese Errungenschaften wieder zerstören.
Quellen
1 https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_38.html
2 https://lobbypedia.de/wiki/Eckart_von_klaeden
3 LobbyControl (2021): LobbyReport 2021. Beispiellose Skandale – strengere Lobbyregeln: Eine Bilanz von vier Jahren Schwarz-Rot. Online: https://www.lobbycontrol.de/publikationen/lobbyreport/ (zuletzt geprüft am: 16.09.2021)
4 Exklusives Netzwerk bestehend aus hochrangigen Entscheidungsträger:innen der Wirtschaft, Politik und Wissenschaft, öffentliches Ziel: “die Zusammenarbeit zwischen Deutschland, Europa und Amerika auf allen Ebenen zu vertiefen” (Atlantik-Brücke, zuletzt 16.09.2021)
5 https://www.abgeordnetenwatch.de/alle-petitionen (zuletzt geprüft am: 09.10.2021)
6 https://lobbypedia.de/wiki/Seitenwechsel (zuletzt geprüft am: 09.10.2021)
7 1,75 Mrd. € für das Unternehmen LEAG und 2,6 Mrd. € für RWE, Vgl. [9]
8 https://www.tagesschau.de/ausland/eu/kohleausstieg-gelder-eu-recht-101.html (zuletzt geprüft am 09.10.2021)
9 https://www.greenpeace.de/themen/energiewende-fossile-energien/kohle/435-milliarden-euro-fuer-was (zuletzt geprüft am 09.10.2021)
10 https://lobbypedia.de/wiki/Matthias_Berninger (zuletzt geprüft am 09.10.2021)
11 https://www.bund.net/umweltgifte/glyphosat/ (zuletzt geprüft am 09.10.2021)
12 https://lobbypedia.de/wiki/Dirk_Niebel (zuletzt geprüft am 09.10.2021)
13 https://www.lobbycontrol.de/2014/07/ex-minister-dirk-niebel-wird-ruestungslobbyist-bei-rheinmetall/ (zuletzt geprüft am 09.10.2021)
Bild: https://pixabay.com/de/vectors/rednerpult-politiker-politik-redner-3278115/
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