Hast Du Dich schonmal gefragt, wie lange Du eigentlich mal arbeiten musst? In Rente zu gehen ist vermutlich nicht gerade in Deiner Top 10 der relevantesten Themen und höchstens dann wichtig, wenn es die eigenen Eltern oder Großeltern betrifft. Aktuell wird aber wieder viel über das Renteneintrittsalter diskutiert – nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen europäischen Ländern. Hinter der Debatte steckt der sogenannte Generationenvertrag, der die finanzielle und gesellschaftliche Solidarität zwischen den Generationen sicherstellen soll.
Der Generationenvertrag bezeichnet einen fiktiven Solidar-Vertrag
zwischen jeweils zwei gesellschaftlichen Generationen.
Solidarität ist keine Einbahnstraße – das hat Christian Lindner 2022 gesagt, als es um das Thema Bürgergeld ging. Er meinte damit, dass Bezieher*innen von Bürgergeld gegenüber den Steuerzahler*innen verpflichtet sind, sich um Jobs zu bemühen, um der Gesellschaft finanziell etwas zurückzugeben. Ein ähnliches Prinzip gilt auch beim Generationenvertrag. Sprich: Deine Eltern versorgen und finanzieren Dich, bis Du auf eigenen Beinen stehst, deshalb finanzierst Du als Gegenleistung durch die Steuern auf Dein Einkommen ihre Rente – ein Geben und Nehmen also.
So weit, so unkompliziert. Der Generationenvertrag ist zwar als fiktiver Vertrag weder real noch rechtlich bindend, hat aber über die vergangenen Jahrzehnte eigentlich ganz gut funktioniert – bis jetzt. Denn in den nächsten Jahren und Jahrzehnten kommen auf dieses Generationen-Abkommen ein paar riesige Probleme zu.
Problem 1: Die letzten Boomer gehen in Rente
Boomer sind nicht nur ein witziges Internetmeme, sondern die größte Gruppe der deutschen Bevölkerung. Weil sich Deutschland erst langsam vom Zweiten Weltkrieg erholt hat, herrschte in den 50er und 60er Jahre ein enormer Baby-Boom im Land, der 1965 mit der Einführung der Pille abrupt beendet wurde. Sexuelle Selbstbestimmung, mehr Frauenrechte oder die Unsicherheit durch den Kalten Krieg: Ab Mitte der 60er waren die Menschen aus verschiedenen Gründen deutlich weniger fortpflanzungsfreudig. Dieser demografische Wandel hält seitdem an: 2002 wurden zum Beispiel halb so viele Menschen geboren wie 1964. Heute ist jede zweite Person in Deutschland älter als 45 und jede fünfte Person sogar älter als 66. Dass die Boomer-Generation jetzt in Rente geht, bedeutet eben nicht nur, dass Du im Job keinem mehr erklären musst, wie man ein Word-Dokument als PDF exportiert, sondern leider auch einen enormen Wegfall von Arbeitskräften, deren Rente von den nachfolgenden Generationen erwirtschaftet werden muss. Weil die aber deutlich weniger Leute beinhalten, fällt die Auswahl an möglichen Lösungsszenarien ziemlich spärlich aus: Entweder höhere Steuern beziehungsweise ein späterer Renteneintritt für die arbeitende Bevölkerung oder eine niedrigere Rente für die Boomer. Auch eine Kombination aus diesen Szenarien ist möglich, um die Folgen des demografischen Wandels zu stemmen.
Problem 2: Weniger Geburten bei steigender Lebenserwartung
Die Menschen in Deutschland werden nicht nur weniger, sondern auch älter. Wer 1960 auf die Welt kam, hatte zur Geburt eine durchschnittliche Lebenserwartung von 70 Jahren. Mädchen, die 2021 geboren wurden, wird aber mittlerweile eine Lebenserwartung von 83 Jahren, Jungen eine von 78 Jahren prognostiziert (Warum Frauen länger leben als Männer, siehst Du übrigens hier). Wegen der immer besser werdenden Gesundheitsversorgung ist es heute keine Ausnahme mehr, 80 Jahre alt zu werden – auch nicht für die, die bei der Geburt eine geringere Lebenserwartung hatten (1960 ist das Geburtsjahr meiner Mutter und ich hoffe sehr, dass sie älter als 70 wird). Eine längere Lebensdauer bedeutet also auch einen längeren Zeitraum, den jemand als Rentner*in verbringt – aktuell liegt der deutschlandweit bei durchschnittlich 20 Jahren.
Außerdem zeigen Prognosen, dass die aktuell jüngeren Generationen vermutlich nicht den Wohlstand der älteren Generationen erreichen werden.
Du denkst jetzt vielleicht: Die Lösung des demografischen Wandels liegt eigentlich auf der Hand. Trotzdem ist Kinder in die Welt zu setzen (oder nicht) in Deutschland eine individuelle Entscheidung und nicht, wie etwa lange Zeit in China, die Angelegenheit des Staates (danke, liebe freiheitlich-demokratische Grundordnung!). Vielleicht bist auch Du Dir nicht sicher, ob Du mal Kinder haben möchtest. Viele Menschen haben sich in den vergangenen Jahrzehnten aus unterschiedlichen Gründen gegen das Kinderkriegen entschieden. Gleichzeitig entscheiden sich zukünftige Mütter und Väter auch immer später für ein Kind und sind bei der ersten Geburt im Schnitt über 30 Jahre alt.
Außerdem werden kinderreiche Familien immer seltener, denn eine deutsche Frau bekommt durchschnittlich nur 1,6 Kinder in ihrem Leben. Diese sogenannte zusammengefasste Geburtenziffer ist zwar seit ein paar Jahren wieder angestiegen, reicht aber bei Weitem nicht aus, um die (auch in Zukunft) steigenden Sterbefallzahlen auszugleichen.
Die Folgen: Altersarmut, Geschlechter- und Generationenungerechtigkeit
Man muss nicht Mathe studiert haben, um zu verstehen, dass die Rente nicht so sicher ist, wie der damalige CDU-Arbeitsminister Norbert Blüm 1986 versprochen hat. Und wie das immer so ist, kippt ein Problem-Dominostein selten alleine um. Schon jetzt gehört Altersarmut zu den größten Sorgen der Deutschen – nicht nur bei denen, die noch was auf die Seite legen konnten, sondern auch unter den jetzt jungen Generationen. Und das zu Recht: Seit 2006 hat sich der Anteil der armutsgefährdeten Personen in allen Altersgruppen kontinuierlich erhöht. Vor allem Frauen sind im Alter stärker armutsbetroffen, weil sie wegen der Kindererziehung weniger in die Rentenkasse einzahlen konnten. Hoffnung auf Besserung gibt es wenig: Gerade treibt die gestiegene Inflation die Lebenshaltungskosten in die Höhe, an den meisten Gehältern ändert sich aber nichts (wobei Studierende jetzt immerhin 200 Euro vom Staat bekommen, wenn sie den Bürokratie-Parkour bei der Antragstellung auf die Reihe kriegen). Außerdem zeigen Prognosen, dass die aktuell jüngeren Generationen vermutlich nicht den Wohlstand der älteren Generationen erreichen werden (Warum? Spielidee: Frag einen Boomer, für wie viel Geld er in den 80er Jahren eine Wohnung in einer beliebigen deutschen Großstadt gekauft hat).
Was jetzt?
Von der Vorstellung, mit Mitte 60 in Rente zu gehen, müssen sich junge Menschen sehr wahrscheinlich verabschieden. Schon heute gilt für alle, die 1964 oder später geboren sind, das Renteneintrittsalter von 67. Seit 2012 gilt nämlich das sogenannte Rentenversicherungs-Anpassungsgesetz, das eine sukzessive Erhöhung des Rentenalters vorschreibt: Von bisher 65 Jahren auf in Zukunft 67 Jahren ab dem Jahr 2029. Bis 2023 wird die Lebensarbeitszeit pro Jahr um einen Monat angehoben, zwischen 2024 und 2029 steigt die Arbeitszeit um jeweils 2 Monate pro Jahr.
Also einfach länger arbeiten – ist 70 nicht eh das neue 60? So richtig gut klingt das irgendwie nicht. Das dachten sich neulich auch die Bürger*innen in Frankreich, als Macron ankündigte, das Renteneintrittsalter von 62 auf 64 erhöhen zu wollen. Die Folge: Über eine Million Menschen auf den Straßen, landesweite Streiks und viel Wut und Unverständnis. Auch die Idee, die Geburtenrate anzuheben, ist in Zeiten von Inflation und Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine vermutlich ein Luftschloss.
Trotzdem gibt es – nicht unumstrittene – Lösungsansätze für den demografischen Wandel in Deutschland. Mit der starken Zuwanderung geflüchteter Personen seit 2015 hat sich Deutschland nachweislich verjüngt, viele Politiker*innen sehen die Zuwanderungswelle als mögliche Lösung des Fachkräftemangels (wie diese Idee bei der AfD ankam, kannst Du Dir wahrscheinlich vorstellen). Eine andere Position vertreten viele Eltern, die kinderlose Personen bei der Finanzierungsfrage stärker in die Pflicht nehmen wollen: Sie finden es unfair, dass Menschen ohne Kinder sich darauf verlassen, dass die Kinder anderer Eltern ihre Rente finanzieren.
Egal ob Fünffachpapa oder Single-Mama, ob Workaholic oder Quiet Quitter: Der demografische Wandel und seine Folgen (be)treffen uns alle. Wie dieses Problem gelöst werden kann, wird auch in den kommenden Wahlen ein immer wichtigeres Thema für die Parteien und Wähler*innen werden. Das Konzept der Generationengerechtigkeit gilt also nicht nur im Kampf gegen die Klimakrise, sondern auch bei der Frage, wo Solidarität zwischen den Generationen aufhört und wo Ungerechtigkeit beginnt.
Quellen
Baby-Boomer gehen in Rente: Arbeitskräftemangel dürfte sich verschärfen | tagesschau.de
Durchschnittliche Rentenbezugsdauer in Deutschland | Statista
Geburten in Deutschland – Statistisches Bundesamt (destatis.de)
Demografischer Wandel in Deutschland: Ursachen und Folgen – Statistisches Bundesamt (destatis.de)
Lebenserwartung von Männern und Frauen in Deutschland – Statistisches Bundesamt (destatis.de)
Deutscher Bundestag – Vor 25 Jahren: Bundestag verabschiedet Rentenreformgesetz
Altersarmut | Die soziale Situation in Deutschland | bpb.de
Streik und Proteste in Frankreich: Mehr als eine Million gegen Rentenreform | tagesschau.de
Generationengerechtigkeit – Das Recht auf Zukunft | Artikel | BMUV
BundID: So bekommen Studierende die 200 Euro-Pauschale – ZDFheute
0 Kommentare