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Vorsicht beim Spagat! Zum Verhältnis von Politik und Wissenschaft

17. Januar 2022

„Wissen ist Macht“ möchte man meinen – und schrieb schon Francis Bacon (zumindest nach Überlieferungen). Angesichts andauernder und sich verschärfender Krisen wie Pandemie und Klimakrise wird wissenschaftliche Expertise immer wertvoller – und damit auch immer einflussreicher. Das Verhältnis von Politik und Wissenschaft ist komplex und das Dilemma groß, doch für Zukunftsfähigkeit braucht es evidenzbasierte und demokratische Politik mit wirksamer Wissenschaftskommunikation. Eine kurze Betrachtung.
Wissenschaftliche Forschung steht seit Beginn der Pandemie so im gesellschaftlichen Fokus wie wohl noch nie zuvor. Expertise als machtvollste Ressource, sich übergangen fühlende politische Entscheidungstragende, Klagen über zu wenig Wissen, Verständnis, Kommunikation und Handlungsspielraum lassen das Bild eines zerrütteten Verhältnisses entstehen. Zeit, da mal nachzuhaken und zu fragen, wie Politik und Wissenschaft in einer Demokratie eigentlich zusammenwirken können und sollen, was ihr komplexes Verhältnis ausmacht und was es für uns bedeutet.
 

Beziehungsstatus: kompliziert

 
Politik und Wissenschaft sind zunächst jeweils autonome Teilbereiche der Gesellschaft, die aber mit allen anderen in gegenseitiger Abhängigkeit zusammenwirken. Balance ist also neben Ausgewogenheit und Gegenseitigkeit das A und O. Nicht immer finden die Einen die Antworten auf die Fragen der Anderen. Sie können nicht immer miteinander – könnten und sollten aber auch niemals ohneeinander. Aber worin genau besteht nun das Dilemma? [1]
Interdependenzen werden dichter: Beratende werden hinzugezogen, Institutionen konsultiert, Teams gebildet und Gutachten erstellt – und das ist auch gut so. Warum auch nicht vorhandene Evidenz nutzen? Schließlich können ja auch Politikerinnen und Politiker nicht immer passend zum Thema ausgebildet sein. Trotzdem folgt die politische Sphäre einer anderen Logik als die wissenschaftliche, und genau das kann zum Problem werden – hier für euch einmal überblicksartig zusammengefasst.
 
Wissen. Das Wissen der Welt ist immer im Wandel, immer im Wachstum – und immer wissentlich unsicher. Denn jede wissenschaftliche Untersuchung hat eine Irrtumswahrscheinlichkeit. Sie wird berücksichtigt, gar miteinberechnet und so klein wie möglich gehalten, aber sie ist immer da. Das daraus resultierende Risiko muss dann die Politik tragen. [2] Zudem braucht Wissen oft Zeit. Wissenschaftliche Studien dauern dem methodischen Anspruch und den zu erbringenden Forschungsleistungen geschuldet entsprechend lang. Erkenntnisinteressen müssen formuliert, der Forschungsstand berücksichtigt, Daten erhoben und ausgewertet werden. Wissenschaft verändert oder gar rettet die Welt auch nicht von heute auf morgen –  Wissen muss diskutiert, erprobt und umsichtig in politische Schritte und rechtliche Rahmen übersetzt werden. Das politische Tagesgeschäft lechzt jedoch nur allzu oft nach schnellen Entscheidungen und Ergebnissen – und sein Wesen scheint in diesem Punkt unvereinbar mit dem der Wissenschaft.
Manchmal wiederum gibt es dann eine solide wissenschaftliche Basis und die Debatte in demokratischen Entscheidungsorganen frisst Zeit. So weit, so demokratisch. Aber in einer Krisensituation unter Umständen tödlich. Steht dann also die Politik der Wissenschaft im Weg? Zu welchen Irrungen und Wirrungen dieses Dilemma von Trennung, Konflikt und Symbiose führen kann, können wir alle seit knapp zwei Jahren live beobachten.
Macht. Sie ist die Währung im politischen Prozess. Macht, Interessen wirksam zu artikulieren. Macht, Interessen durchzusetzen. Macht, die dominante Deutung der Welt in Diskursen vorzugeben. Macht, kollektiv verbindliche Entscheidungen zu treffen. Sie ist essentiell für das Funktionieren eines jeden politischen Systems. Aber auch Wissenschaft hat ein Verhältnis zur Macht: sie artikuliert die Fragen, die bewegen und gibt ihnen Form und Charakter. Und sie hat einen eigenen Belohnungsmechanismus: die Reputation (man bedenke das auch gerade im Zusammenhang mit der Irrtumswahrscheinlichkeit) [1].
Wahrheit. Während wissenschaftstheoretisch ja gar die Existenz einer objektiven Wahrheit weiter fraglich ist, ist sie anderswo längst schon mit geradezu beeindruckendem Optimismus zum Politikum geworden. Eine vermeintlich objektive, beinahe technisch rationale Meinung – what a lifehack! [3]
In einer parlamentarischen Demokratie wie der Bundesrepublik Deutschland werden Entscheidungen per Definition durch Mehrheitsbeschluss im Parlament getroffen. Der Wille der Mehrheit ist aber nicht zwangsläufig deckungsgleich mit dem wissenschaftlichen Konsens (sofern vorhanden).
Expertenräte, Beratungsgremien und andere wissenschaftliche Institutionen – ihre Expertise sei noch so wertvoll, wichtig und wegweisend – verfügen über keine demokratische Legitimation. Deshalb wäre es nicht ratsam, langfristig und ausschließlich Ergebnisse aus wissenschaftlicher Forschung ungefiltert als Maximen für die politische Praxis zu übernehmen. Zumal das auch nicht uneingeschränkt funktioniert, da eine wissenschaftliche Tatsache nun mal keine politisch konkrete Forderung (z.B. im Sinne eines Gesetzesvorschlags) ist.

„Wahrheitsfindung ohne Freiheit endet in Ideologie; Willensbildung ohne Erkenntnis in Willkürherrschaft.“ – Philip Kovce [4]

Die Bevölkerung würde sich im Übrigen ausgebootet und nicht gehört fühlen, was einen massiven Vertrauensverlust in den Staat nach sich ziehen würde. Demokratisch gewählte Volksvertretende gerieten in einer solchen zur Expertokratie mutierenden Demokratie unter massiven Legitimationsdruck.
Der politische Spagat zwischen Politik und Wissenschaft ist eben auch der Drahtseilakt, Entscheidungen im Abwägungsprozess von Expertise verschiedener Disziplinen und Persönlichkeiten der Wissenschaft, und politischen Interessen zu treffen – und dann auch umzusetzen. [5]

„ Interpretieren und beraten – das heißt eben auch gewichten und bewerten.“ – Joachim Gauck (ehemaliger dt. Bundespräsident) [6]

Nachhaltigkeit. Neben dem Erlangen von Macht ist auch das langfristige Erhalten dieser Macht extrem wichtig, teilweise wichtiger als die Idealversprechen aus dem Wahlprogramm. Dieses Phänomen wird in demokratischen Systemen auch als « Wiederwahlorientierung » beschrieben. Und was ist der beste Garant für eine Wiederwahl? Politischer Erfolg. Logisch, die Allermeisten würden wohl eher eine Partei wiederwählen, die Wahlversprechen umgesetzt und im Land etwas bewegt hat.
Nur sind viele der wissenschaftlichen Antworten auf drängende Fragen unserer Zeit eben keine politischen Eintagsfliegen, sondern verlangen langfristig gedachte und wirksame Maßnahmenkataloge oder „Instrumentenkästen“, wie man ja heutzutage sagt. Während diese „Instrumente“ mit Weitblick realisiert werden müssen, entfalten sie ihre Wirkung oft erst Jahre später, sie sind also präventiv. Ihr Erfolg ist also nicht direkt sichtbar, es braucht Vertrauen und Geduld. Prävention ist aber politisch oft nicht haltbar (siehe dazu das sogenannte Präventionsparadox [7]). Das macht solche Entscheidungen zu politisch ausgesprochen unangenehmen, die der Wiederwahlorientierung und der ein oder anderen Ambition einer Partei zuwider laufen. Da kann man schonmal mit Tomaten beworfen werden. Schließlich macht sich eine Entscheidung, die nach einer Legislaturperiode keine Verbesserung sehen lässt, sondern erstmal Kapital jeglicher Art frisst, nicht gut in der Regierungsbilanz. Auch und vor allem, da die Beschlüsse bei ausbleibender Wiederwahl oder anderer Zusammensetzung der Regierungsmehrheit wieder gekippt werden könnten. Im Fall eines Irrtums natürlich praktisch – die Demokratie hat sozusagen eine Art institutionalisierten Fehlerbehebungsmechanismus – ansonsten aber fatal: die ganze Erklärungsarbeit wäre umsonst, der Nutzen futsch – plus Wahlniederlage als bitteres Dessert. [8]

Wie nun den Spagat meistern?

 
Wir sehen, das Verhältnis zwischen Politik und Wissenschaft ist wechselhaft, ein Sonne-Wolken-Mix. Harmonische Schönwetterperioden sind ebenso möglich wie heftige Gewitter. Es wäre nicht das erste Mal, dass aus tagespolitischem Zündfeuer konstruktive und zukunftsfähige Lösungen entstehen. Es gilt weiterhin, mit dem Schatz der wissenschaftlichen Expertise durch gute Wissenschaftskommunikation und respektvolles, demokratisches Engagement von beiden Seiten, realpolitische Antworten auf wissenschaftlich artikulierte Herausforderungen unserer Zeit zu finden, und das nicht nur, wenn Viren viral gehen. Denn Wissen gibt uns als Gesellschaft Macht. Die Macht, die Welt, wie wir sie kennen, gemeinsam zu bewahren, gemeinsam zu schützen und gemeinsam zu verbessern.
 
___________________________________
Verweise:
[1] Kühne, Olaf: Wissenschaft und Politik. Überlegungen zu einem Verhältnis gegenseitiger Verantwortung, in: Rösler, Philipp / Lindner, Christian (Hrsg.): Freiheit: gefühlt – gedacht – gelebt. Liberale Beiträge zu einer Wertediskussion, Wiesbaden 2009, S. 322-331.
[2] Mayntz, Renate: Politik und Wissenschaft – ein Spannungsverhältnis, Spektrum der Wissenschaft 5/1996, Heidelberg, S. 34.
[3] Weiland, Sabine: Evidenzbasierte Politik zwischen Eindeutigkeit und Reflexivität, Technikfolgenabschätzung 22: 3/2013, S. 9-15.
[4] https://www.deutschlandfunkkultur.de/wahrheitsfindung-vs-willensbildung-wissenschaft-und-politik-100.html (letzter Zugriff: 13.01.2022).
[5] https://www.sueddeutsche.de/meinung/wissenschaft-corona-klima-notlage-ampel-1.5460303 (letzter Zugriff: 12.01.2022).
[6] https://www.faz.net/aktuell/wissen/forschung-politik/wissenschaft-und-politik-die-weltveraenderer-das-sind-die-viren-nicht-die-virologen-17102698.html (letzter Zugriff: 13.01.2022).
Präventionsparadox: https://leitbegriffe.bzga.de/alphabetisches-verzeichnis/praeventionsparadox/ (letzter Zugriff: 16.01.2022).
[7] https://www.derstandard.de/story/2000132288776/praeventionsparadox-warten-bis-fuenf-vor-zwoelf (letzter Zugriff: 16.01.2022).
[8] https://philosophie-und-rhetorik.de/zum-verhaeltnis-von-wissenschaft-und-politik/ (letzter Zugriff: 31.12.2021).
 
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