Außenpolitik | EU-Politik
Droht ein neuer Krieg in Europa?

31. Januar 2022

 
Die Lage an der ukrainischen Grenze spitzt sich seit Wochen zu – und könnte einen neuen militärischen Konflikt in Europa hervorrufen. Doch was erhofft sich Putin von einem Krieg? Und wie kann der „Westen“ darauf reagieren? Über die komplexe Lage in Osteuropa und was dies für die internationalen Beziehungen bedeutet.
Die Ukraine – so viel ist sicher – wird von Russland massiv bedroht. Über 100.000 russische Soldaten harren nahe der ukrainischen Grenze aus. Darüber hinaus sind auch russische Soldaten in Belarus und auf der Krim stationiert. Somit könnte Russland von Osten, Norden und Süden in die Ukraine eindringen und die Ukraine wortwörtlich überrollen. Im Vergleich der militärischen Stärke der beiden Länder ist Russland der Ukraine meilenweit überlegen. Russland hat sogar ein stärkeres Militäraufgebot als alle westlich angrenzenden Nachbarstaaten zusammen (Finnland, Estland, Lettland, Litauen, Polen, Ukraine und Rumänien). Als Beispiel für die Militärstärke zählt, neben anderen Faktoren, die Zahl des aktiven militärischen Personals: die oben genannten Nachbarstaaten vereinen dort eine Stärke von 439.000 Personen. Demgegenüber ist das russische Heer mit einer Stärke von 850.000 Personen fast doppelt so groß. Die hier rein quantitative Überlegenheit Russlands macht die Brisanz der Lage deutlich: wenn die Ukraine in einem Krieg gegen Russland allein auf sich gestellt wäre, hätte sie keine Chance. Das Problem der Ukraine in dieser rein sicherheitspolitischen Betrachtung des Konflikts ist, dass diese nicht in der NATO vertreten ist und somit nicht automatisch auf die Unterstützung der NATO-Staaten vertrauen kann. Dennoch haben die NATO-Staaten, allen voran die USA, Unterstützung zugesichert, falls Russland militärisch intervenieren sollte. So haben die Staats- und Regierungschefs der USA und der europäischen Verbündeten zur Deeskalation in Richtung Moskau aufgerufen. Und schwerwiegende Konsequenzen angekündigt, falls Russland die territoriale Integrität der Ukraine verletzten sollte.

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Doch der Westen ist einem sicherheitspolitischen Dilemma ausgesetzt: Soll dieser weiter die Diplomatie hochhalten oder selbst auf militärische Abschreckung setzen? Zurzeit wird beides probiert. Auf der einen Seite bekräftigen die westlichen Verbündeten, dass der Konflikt und darüber hinaus die Sicherheit in Europa nur durch Verhandlungen und Gespräche gelöst und gefestigt werden könne. Auf der anderen Seite hat die USA 8.500 Militärangehörige in Alarmbereitschaft gesetzt, die gegebenenfalls die NATO-Truppen in Osteuropa verstärken können. Auch weitere NATO-Staaten verstärken ihre Militärpräsenz und schicken Marineschiffe und Kampfflugzeuge in die Ostsee und ins Baltikum. Letztlich dreht sich alles um die Frage, wie der Westen angemessen auf die Provokation Russlands reagieren kann und was im Falle einer russischen Intervention passieren würde. Doch was will der russische Präsident Putin mit einer derartigen Eskalation in Osteuropa erreichen und was sind seine dahinterliegenden Beweggründe?
Putin bedient bewusst ein Narrativ, welches in Russland aber auch im Ausland widerhallt: Es gehe ihm um die Sicherheit seines Landes, welches er von der NATO bedroht sieht und reagiere mit den Truppenbewegungen nur auf die westliche Provokation. Darüber hinaus will er Zugeständnisse des Westens haben. Konkret fordert er den Abzug der US-Atomwaffen aus Europa und keine weiteren NATO-Übungen in russischer Nähe. Diesem Ultimatum ist der Westen erwartungsgemäß nicht nachgekommen. Hinter dem Narrativ Putins steckt aber seine eigentliche Absicht: Der Welt zeigen, dass Russland nach wie vor eine Weltmacht ist und auch Einfluss auf die europäische Ordnung haben kann – wenn sie denn wollten. Michael Thumann beschreibt in seinem Leitartikel für Die ZEIT vom 19.01.22, dass Putin einer recht simplen machtpolitischen Logik folgt: „Wer uns fürchtet, achtet uns auch.“ In gewisser Weise ist diese Logik auch aufgegangen. Der öffentliche Diskurs im Westen wird bereits seit Wochen von diesem Thema bestimmt, verbunden mit der Furcht vor einem neuen großen Krieg in Osteuropa und den daraus folgenden wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen für ganz Europa. Einige Äußerungen von führenden russischen Politikern machen deutlich, wie dort die politische Lage in Europa gesehen wird. So soll Konstantin Kossatschow, ein russischer Außenpolitiker, gesagt haben: „Europa, das ist auch unser Kontinent, den man uns wegnehmen will. Gerade wir sind das Vorbild des künftigen Europas – eines einigen, souveränen Kontinents von Lissabon bis Wladiwostok.“[1] Solche Äußerungen machen deutlich, dass sich Russland unter Putins Führung durchaus eine andere machtpolitische Ordnung in Europa vorstellen könnte. Die Ukraine ist in dieser sowjetischen Großmacht-Denkart noch ein Teil Russlands, das wieder angegliedert werden müsse.

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Es bleibt aber überaus fraglich, ob diese Strategie der russischen Führung aufgehen wird. Was deutlich wird ist, dass sich die ukrainische Bevölkerung durch die ständige Bedrohung Russlands mittlerweile eher dem Westen zugehörig fühlt. Was teilweise in der deutschen und westlichen Debatte über den nun akuten Ukraine-Konflikt ebenfalls zu kurz kommt, ist die Tatsache, dass dieser Konflikt für die Ukraine seit mindestens acht Jahren akut ist. In der Ostukraine und auf der Krim kämpft die ukrainische Armee seit 2014 gegen prorussische Separatisten – dabei wurden schon mehr als 13.000 Menschen getötet. Aus ukrainischer Perspektive ist demnach die Ungeduld über das teilweise zögerliche Verhalten des Westens nachvollziehbar. Mittlerweile gibt es Waffenlieferungen aus einigen NATO-Staaten wie Großbritannien. Die Ukraine fordert aber auch insbesondere von Deutschland Waffen, währenddessen hier auf den Ampel-Koalitionsvertrag verwiesen wird, der besagt, dass keine Waffen in Krisengebiete geliefert werden dürfen. Obwohl diese Haltung aus friedenspolitischer Sicht begrüßenswert erscheint, hilft dies den Ukrainern natürlich nur wenig im Anbetracht ihres übermächtigen Gegners. Zumindest hat die deutsche Bundesregierung nun eine Lieferung von 5000 Helmen genehmigt und auch ein Feldlazarett soll geschickt werden.
Obwohl eine russische Intervention nicht auszuschließen ist, muss diese nicht zwangsläufig so kommen. Der Preis den Russland für einen Angriff bezahlen müsste, wäre hoch. Je nachdem, wie einig sich der Westen über weitreichende Sanktionen wäre, würde dieser Preis in die Höhe getrieben werden. So kann besonders Deutschland und die EU auf diese Karte setzen: Die Gaspipeline Nord-Stream 2 würde nicht in Betrieb genommen werden und man könnte Russland aus dem internationalen Zahlungssystem Swift ausschließen. Solche wirtschaftlichen Sanktionen würden aber ebenfalls die EU treffen und Russland könnte gegebenenfalls den „Gashahn“ für Deutschland zudrehen.
Letztlich kann noch nicht abgesehen werden, inwieweit sich dieser Konflikt entwickeln wird. Was positiv scheint, ist die weiter aufrechterhaltene Dialogbereitschaft von den USA, europäischen Staaten wie Deutschland, aber auch Russland. Somit könnte ein militärischer Konflikt in Osteuropa doch noch abgewendet werden – den Menschen in der Region wäre es zu wünschen.
 
 
Literaturhinweise:
Spiegel Artikel vom 25.01.22: „Ukrainischer Botschafter verlangt Waffen aus Deutschland“ Ukraine-Russland-Konflikt: Andrij Melnyk fordert erneut Waffen aus Deutschland – DER SPIEGEL
Spiegel Artikel vom 24.01.22: „USA versetzen 8500 Soldaten in »erhöhte Alarmbereitschaft“ Ukraine-Russland-Konflikt: USA versetzen 8500 Soldaten in »erhöhte Alarmbereitschaft« – DER SPIEGEL
Lau, Jörg. Zeit Artikel vom 26.01.22: „Schuss nicht gehört“ Waffenlieferungen: Schuss nicht gehört | ZEIT ONLINE
Thumann, Michael. Zeit Artikel vom 19.01.22: „ Auf dem Sprung“ Wladimir Putin: Auf dem Sprung | ZEIT ONLINE
[1] ZEIT vom 19.01.22

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2 Kommentare

  1. Gerd Sperle

    Das Thema treffend und verständlich auf den Punkt gebracht!

    Antworten
  2. Lina

    Interessante Einblicke zu Russland!

    Antworten

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