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Corona und die Frage nach der Freiheit

26. November 2021

Seit nun fast 2 Jahren leben wir mit einer Pandemie, im Dezember 2019 wurde erstmalig über Corona berichtet. Mit dem Virus kamen die Einschränkungen, die Beschränkungen unserer Freiheiten. Nun gab es eine Idee: Ein Freedom-Day – von einigen Ländern umgesetzt, in Deutschland von prominenten Politiker:innen wie dem NRW-Vizeministerpräsidenten Joachim Stamp von der FDP (1) oder Bayerns CSU-Ministerpräsident Markus Söder (2) in die öffentliche Debatte gebracht. Doch wie steht es um unsere Freiheit? Machen Quarantänen, 3G, 2G plus oder eine Impfpflicht unsere Gesellschaft unfreier?

Von Luc Stahlhut

Vor einigen Tagen habe ich auf meinem privaten Twitter-Account einen Tweet abgesetzt, aus dessen Konsequenz dieser Artikel entstanden ist. Ich stellte mithilfe der Initiative Hassmelden, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, strafbare Inhalte im Internet bei den zuständigen Behörden anzuzeigen, Strafanzeige gegen einen verhältnismäßig bekannten Twitter-User. Dieser führte in einem seiner Tweets offen aus, dass ihm und den Menschen seines Umfeldes völlig egal sei, dass er mit jemanden feiere und diese Person auch gerne umarme, die trotz einer Quarantäne-Anordnung auf der Feier gewesen sei.

„Auf der Party war einer, der eigentlich in Quarantäne ist. Vor 1,5 Jahren wäre er rausgeschmissen und nie wieder eingeladen wurden [sic!]. Vor 1 Jahr hätte man ihn auf das nächste Mal vertröstet. Gestern wurde er mit Umarmung begrüßt. Uns ist das mittlerweile so scheißegal.“

Tweet des Twitter-Nutzers

Nachdem Hassmelden Strafanzeige stellte (da das Brechen einer amtlich angeordneten Quarantäne eine Straftat ist), mich per Mail darüber informierte und ich diese Mail auf meinem eigenen Account veröffentlichte, brandete eine Welle der Empörung aus der libertären Twitter-Blase über mich hinweg. Zahllose Kommentare verglichen die Anzeige mit den Handlungen der Stasi (3, 4, 6, 7) oder gar mit denen der Nazi-Herrschaft (4), meinten, dass ich als Blockwart im dritten Reich sicherlich Juden verraten hätte (5). Schnell zeigte sich: Viele Kommentatoren sind der Meinung, dass wir aktuell in keinem freien Land leben, gegängelt sind durch die Maßnahmen gegen Corona – weswegen in Konsequenz daran viele ankündigten, man würde sich im Rahmen des Widerstandes dagegen erst recht nicht an die gesetzlichen Vorgaben halten (10). Doch führen die Maßnahmen wirklich zu großer Unfreiheit, wie so oft proklamiert?

Um diese Frage zu beantworten, muss man zuerst mal darlegen, welche Maßnahmen genau gerade gültig sind. Dazu lohnt sich ein Blick in das zuletzt am 18. November durch die designierte Ampel-Koalition veränderte Infektionsschutzgesetz. Auf Basis dieses Gesetzes werden die Bundesländer beziehungsweise deren Landesparlamente ermächtigt, bestimmte Maßnahmen im Rahmen eines Kataloges gegen die Corona-Pandemie zu ergreifen. Diese können unter anderem Grundrechte wie die Freizügigkeit und die Freiheit der Person, aber auch die Berufs- und Versammlungsfreiheit einschränken.

Bekannte Maßnahmen sind unter anderem die Maskenpflicht oder die Beschränkungen durch Konzepte wie „3G“, „2G“ oder „2G plus“. Dabei werden Aktivitäten, wie das Feiern im Club, Restaurantbesuche oder auch Sportevents für bestimmte Personengruppen, also Ungeimpfte oder Ungetestete, beschränkt. Mittlerweile inkludiert das auch andere Lebensbereiche, wie beispielsweise den Öffentlichen Personen-Nahverkehr. Auch die Maßnahme der Quarantäne-Anordnung durch das Gesundheitsamt, die aufgrund eines Kontakts mit einem Corona-Infizierten oder der eigenen Infektion ausgesprochen wird, ist mittlerweile bekannt. All diese Maßnahmen haben gemeinsam, dass sie bestimmte Grundrechte einschränken.

Doch Grundrechte dürfen nur eingeschränkt werden, wenn der Schutz von Grundrechten anderer Menschen unter der Abwägung der Verhältnismäßigkeit diese Einschränkung notwendig machen. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip ist eines der wichtigsten Grundsätze unserer liberalen Gesellschaftsordnung, da es die Freiheiten des Individuums gegen zu übermäßige Eingriffe von staatlicher Seite schützen soll. Diese Idee geht auf einer der bekanntesten liberalen Theoretiker, John Stuart Mill, zurück. Er schrieb in seinem Buch „On Liberty“, „dass der einzige Zweck, zu dem Macht über ein Mitglied einer zivilisierten Gemeinschaft gegen seinen Willen rechtmäßig ausgeübt werden kann, darin besteht, Schaden von Anderen abzuwenden“. Die Einschränkung von Freiheiten durch staatliche Institutionen wird also nur gerechtfertigt, wenn sonst die Freiheit des Einen durch die Ausübung der sonst nicht beschränkten Freiheiten des Anderen eingeschränkt wird. Nur so behält jedes Individuum die möglichst größte Freiheit.

In dieser Lage, in der ein Inzidenz-Rekord den anderen jagt (8) und Ärzt:innen in Krankenhäusern aufgrund übermäßiger Belastung mit der Triage, also der Entscheidung darüber, wer behandelt wird und wer nicht, konfrontiert sind (9), ist die Frage nach dem Schutz von Freiheiten Dritter eigentlich offensichtlich. Zwar würden hier viele der Maßnahmenkritiker:innen einwenden, dass bei Maßnahmen wie „2G“ (Veranstaltungen nur noch für Geimpfte und Genesene) ja gar keine Schutzwirkung anderer Grundrechte bestehe, da diese Gruppen auch sich gegenseitig anstecken könnten. Doch werden hier entscheidende Grundrechte nicht beachtet: Die Grundrechte und damit die Freiheiten der unbeteiligten Dritten. Geimpfte müssen im Durchschnitt um ein Vielfaches weniger als Ungeimpfte auf Intensivstationen behandelt werden, wodurch sie im Zweifel durch die Überlastung der Krankenstationen anderen Patient:innen, die an Corona oder an Krebs erkranken, einen Schlaganfall oder einen Herzinfarkt haben, das benötigte Bett wegnehmen. Ihre Freiheiten, namhaft vor allem das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, werden so potentiell massiv verletzt.

Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.

Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz

In dieser brutalen Phase der Pandemie kann man es auf eine einfache Wahrheit herunterbrechen: Die Freiheit, ungeimpft und dabei freizügig zu sein, schränkt die Freiheiten aller Anderen massiv ein. Aufgrund dessen ist die Einschränkung der freiwillig Ungeimpften nicht nur eine verhältnismäßige Möglichkeit, sondern eine Verpflichtung derer, die über die Maßnahmen entscheiden. Dies inkludiert in letzter Konsequenz, wenn alle anderen Maßnahmen keine ausreichende Wirkung gezeigt haben, auch eine Impfpflicht zum Schutz vor der nächsten Corona-Welle und der damit einhergehenden Belastung der Krankenhäuser. Denn so nah uns diese mittlerweile gar nicht mehr so unpopuläre Maßnahme (11) auch an den Rand der Unfreiheit bringen mag, wenn Ärzt:innen auf Krankenstationen entscheiden müssen, wen sie behandeln können und wen sie sterben lassen müssen, sind wir bereits in einer unfreien Gesellschaft angekommen.

(1) https://www.zeit.de/2021/31/corona-massnahmen-ende-aufhebung-impffortschritt-joachim-stamp-susanne-schreiber-diskussion

(2) https://www.nordbayern.de/politik/schon-in-wenigen-wochen-denkbar-soder-spekuliert-uber-freedom-day-1.11452192

(3) https://twitter.com/PMWeingaertner/status/1463246360174551054

(4) https://twitter.com/Rol_Rol_Rol_Rol/status/1463226654839525382

(5) https://twitter.com/Max1776z/status/1463266200067129344

(6) https://twitter.com/LibertyLucas26/status/1463224779322888197

(7) https://twitter.com/rechtsanwelter/status/1463233979293782016

(8) https://www.sueddeutsche.de/politik/corona-aktuell-spahn-wieler-vierte-welle-1.5469776

(9) https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/129444/In-Sachsen-drohen-Triage-und-Lockdown

(10) https://twitter.com/PhilipH90893430/status/1463239525682098181

(11) https://www.zdf.de/nachrichten/briefing/mehrheit-impfpflicht-fornoff-zdfheute-update-100.html

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